„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Adoptionshumor, oder das, was ich dafür halte, ist eigen. Auch schön: „the troubles of being a step ladder“. Ich kann nicht genau erklären, warum ich das so komisch finde.

Etwas schmerzhafterer Art sind für mich Witze, die sich direkt auf (transnationale) Adoption beziehen. Zum Beispiel die Szene aus der erfolgreichen US-amerikanischen TV-Familien-Comedy-Serie Modern Family. Darin treffen zwei schwule Elternpaare bei einem Talentwettbewerb, an dem ihre Kinder teilnehmen, aufeinander. Beide Paare haben Kinder aus asiatischen Ländern adoptiert. Ein Vater des einen Paars sagt zu dem anderen Paar (die Helden der Serie Cam und Mitchell): „Yours is from Vietnam, right? … We were able to adopt one from Korea …“, und lässt die beiden stehen. Offensichtlich verunsichert flüstert Cam seinem Partner zu: „Are Koreans really better?“ Ein anderes aktuelles Beispiel: In einer Folge von Fresh Off the Boat , ebenfalls eine US-amerikanische Familien-Comedy-Serie, ist ein überangepasster (zu erkennen an freiwilligem täglichen stundenlangen Celloüben und unterwürfiger Höflichkeit gegenüber Älteren) aus China adoptierter Junge chinesischer als sein chinesisch-amerikanischer Mitschüler, weil er die ‚chinesischen Eigenschaften‘ wohlerzogener Kinder übererfüllt. Zugleich ist er jüdischer als seine jüdischen Adoptiveltern, indem er auf der strengen Einhaltung des Sabbat besteht. Was ihn in jedem Fall auszeichnet, ist ‚Überanpassung‘, eine in Zusammenhang mit Adoption nicht zufällige Charakterisierung.

Der Humor dieser Szenen setzt vertraute Assoziationen in Bezug auf Adoption voraus. Entscheidend ist hier für mich, dass er ohne große Erläuterungen eingesetzt wird. Gutes Fernsehen funktioniert, indem es die Grenzen des Sagbaren eines konventionellen Diskurses auslotet und graduell übersteigert. Unabhängig davon, ob die Szenen als komisch empfunden werden oder nicht, die Selbstverständlichkeit der Referenzen zeigt, dass die Adoption asiatischer Kinder zumindest für das US-amerikanische Publikum als Gemeinplatz angesehen wird.1)Sie steht auch in einer längeren US-amerikanischen Fernsehtradition, so werden auch in den Serien Friends, King of Queens und Sex and the City chinesische Babies adoptiert. Wie verständlich ist dieser Adoptionshumor für ein deutschsprachiges Publikum? Im Unterschied zu den USA gibt es hier, so weit ich weiß, aktuell keine kritische Öffentlichkeit in Bezug auf nationale oder transnationale Adoption. Hat das nur mit einer fehlenden ‚kritischen Masse‘ zu tun? Die Kinderrechtsorganisation terre des hommes, die lange Zeit den größten Anteil transnationaler Adoptionen nach Deutschland vermittelt hat, hörte Ende der 1990er Jahre damit auf – laut ihrer Website, weil bereits seit den 1980er Jahren Auslandsadoptionen zu stark von Marktmechanismen bestimmt seien.2)Ich habe dazu mehr geschrieben in: „Adoptions aus Korea. Stille Migration?“ In: Young-Seun Chang-Gusko, Nataly Jung-Hwa Han, Arnd Kolb (Hg.): Unbekannte Vielfalt. Einblicke in die koreanische Migrationsgeschichte in Deutschland. Köln: Edition DOMiD 2014, S. 234-247. Hatte diese Entscheidung Konsequenzen für transnationale Adoption durch andere Organisationen? Sind für die hiesige Öffentlichkeit die Bezüge zwischen transnationaler Adoption und postkolonialen transnationalen Beziehungen, prekären nationalen Geschlechterverhältnissen und der globalen Aufteilung von Reproduktionsarbeit evident?

Adoptierte Killjoys: Die Adoptionskontroverse
in den USA

Die oben zitierten Adoptionswitze sind symptomatisch für eine bereits seit längerem größere öffentliche Präsenz von Adoptionsfragen in den USA, zugleich aber auch für ihre ambivalente Besetzung. In den USA wird seit Jahren erhitzt über transnationale Adoption diskutiert, eine Diskussion, die bis in die Mainstreammedien hineinreicht. Sie kreist um zwei Aspekte: zum einen um die Frage ethisch befürwortbarer Vermittlungspraktiken, provoziert durch Berichte über falsch dokumentierte oder undokumentierte Fälle, fehlende elterliche Einverständnisse, Korruption und Kinderhandel in Bezug auf Adoptionen, zuletzt vor allem aus Guatemala, Äthiopien, Vietnam, Kambodscha oder Haiti. Zum anderen berichten immer mehr koreanische adoptierte Erwachsene über die emotionalen ‚Herausforderungen‘ ihrer Adoptionsgeschichte, sowohl aufgrund von Rassismuserfahrungen und der Schwierigkeiten, als nicht-weiße Person in einer weißen Familie/Umgebung aufzuwachsen, als auch in Bezug auf die in den meisten Fällen fehlenden Informationen über ihre Vergangenheit und die traumatische Dimension (frühkindlichen) Verlusts der Lebensumgebung, existenziell bedeutsamer Beziehungen und der Erinnerungen an diese.

Insbesondere an den Reaktionen auf Darstellungen psychischer Belastungen zeigt sich, wie heikel das Thema ist. Im Dezember 2014 wurde dies etwa an der Diskussion des Artikels „Please don’t tell me I was lucky to be adopted“ von Shaaren Pine in der Washington Post deutlich. Pine erzählt darin, dass Adoptiertsein (sie wurde im Alter weniger Monate aus Indien in die USA adoptiert) für sie eine traumatische, lebenslang anhaltende Erfahrung ist, deren Schmerzhaftigkeit dadurch verstärkt wird, dass sie nicht als solche wahrgenommen wird. Pine schreibt:

„For me, being an adoptee is like getting into a horrible car accident and surviving with devastating injuries. But instead of anybody acknowledging the trauma of the accident, they tell you that you should feel lucky. Even if the injuries never stop hurting, never quite heal. Even if the injuries make it impossible to feel comfortable in everyday life. So I learned not to talk about it. Even though my bones ached.“

Pine lenkt nicht nur den Blick darauf, dass transnationale Adoption in den meisten Fällen traumatische Verlusterfahrungen beinhaltet. Sie verdeutlicht auch die konventionelle Haltung, es sei ein Glück, dass ihr, in ihren Worten, der traumatische Unfall zugestoßen sei. Pine und andere Adoptierte, die ihre Adoptionsgeschichte nicht als eindeutiges Happy Ending affirmieren, werden dadurch zu Killjoys – zu Subjekten, die, wie Sara Ahmed beschreibt, selbst zum Problem werden, indem sie ein Unbehagen angesichts eines Problems artikulieren (The Promise of Happiness, 2010). Die Ursache des Problems, hier die traumatischen Bedingungen transnationaler Adoption, werden dadurch unsagbar. Die emotionale Not der Adoptierten kollidiert mit der konventionellen Vorstellung, sie seien in besonderer Weise auserwählte Wunschkinder.

Umkämpfte Adoptionspolitiken

Pines Darstellung, dass das Anerkennen und Sprechen über Adoption als traumatisches Erlebnis auf affektiver und diskursiver Ebene verhindert wird, ähnelt vielen biografischen Darstellungen anderer Adoptierter in Büchern, Filmen, Zeitungsartikeln, Onlineforen etc. Wütende und bis zu feindselige Kommentare auf diese Darstellungen sind geradezu reflexhaft vorherzusehen. Die Onlineversion von Pines Text hat 725 Kommentare erhalten, von denen einige so aggressiv waren, dass sie wiederum kommentiert wurden: „Adoptee Admits Emotional Challenges; Commenters Respond by Being Assholes“. Aggressive Kommentare – worauf auch immer – sind im Internet nicht überraschend. Besonders beunruhigend und charakteristisch ist jedoch, dass viele der Kommentierenden mitteilen, sie seien selbst Adoptiveltern, und die feindseligen Reaktionen durch die bloße Schilderung ‚negativer‘ Gefühle provoziert scheinen. Pines Erfahrung des Widerstands, Artikulationen des Unbehagens in Bezug auf transnationale Adoption anzuhören, bestätigt sich in den Reaktionen auf ihren Text.

Ein anderes viel kommentiertes aktuelles Beispiel ist der Artikel der Journalistin und Adoptivmutter Maggie Jones „Why a Generation of Adoptees is Returning to South Korea“, der im Januar diesen Jahres im Magazin der New York Times erschienen ist. Jones berichtet darin aus einer, sich offensichtlich der eigenen ambivalenten Position bewussten Perspektive, dass seit Ende der 1980er Jahre von den seit Ende des Koreakrieges bis heute etwa 200.000 koreanischen Adoptierten immer mehr in ihr Geburtsland zurückkehren. Zur Zeit leben etwa dreihundert von ihnen permanent in Korea. Sie haben eine eigene Infrastruktur aufgebaut, mit Unterkünften für den ersten Aufenthalt (KoRoot) und einer seit 1997 von Adoptierten geführten Organisation (GOA’L), die unter anderem Dolmetscher_innen für die Verständigung mit Kinderheimen und Angehörigen organisiert und bei der häufig schwer durchschaubaren Kommunikation mit den koreanischen Zweigstellen der Adoptionsvermittlungen hilft, sowie mit lokalen Medien, die seit Jahren von Zeitungsanzeigen bis zu ganzen Fernsehsendungen die Familiensuche koreanischer Adoptierter in ihr alltägliches Programm integriert haben.

Jones stellt in ihrem Artikel eine Gruppe aktivistischer Adoptierter vor, die sich bei TRACK und ASK engagieren und schreibt über ihre Adoptionsgeschichten, die Beweggründe für ihre Rückkehr, ihre politischen Kämpfe und Erfolge. Die Printversion erhielt 1200 Leser_innenkommentare, danach wurden keine weiteren mehr angenommen. Die Onlineversion wurde 994 Mal kommentiert. Auch dies häufig in feindseliger Weise.

Der ‚provokative‘ Inhalt von Jones’ Artikels besteht nicht nur darin, dass sich die Protagonist_innen bewusst für ein Leben in ihrem Geburtsland statt ihres Adoptivlandes entschieden haben, eine Entscheidung, die für viele auch darin begründet ist, Adoption als nur bedingt glückbringendes Ereignis zu empfinden. Darüber hinaus sind sie maßgeblich daran beteiligt, koreanische Adoptionspolitik zu verändern, sowohl in Bezug auf die transnationale Zusammenarbeit mit den Adoptivländern als auch in Kooperation mit chinesischen und indischen adoptierten Aktivist_innen. TRACK und ASK unterstützen konkret die politischen Interessen unverheirateter und prekär lebender Alleinerziehender in Korea und arbeiten mit Dandelions, einer Organisation biologischer Mütter zusammen, die ihre Kinder zur Adoption abgegeben haben, und der Korean Unwed Mother’s Family Association (KUMFA), einer Organisation alleinerziehender Mütter.

Aus dieser aktivistischen Perspektive ist es wesentlich, Adoption als ein sozialpolitisches und biopolitisches Instrument zur Regulierung prekärer Bevölkerungsteile zu verstehen, als ein politisches Mittel, das die Reproduktivität mancher Subjekte fördert und anderer begrenzt und tendenziell unterbindet. Sie lenkt den Blick auf die ungleiche soziale Verteilung von Reproduktivität, die zugleich eine rassifizierte und postkoloniale ist.

„If you hadn’t been adopted you wouldn’t have the internet“

Dieser (urkomische) Kommentar stammt von eine_r Zuschauer_in der Sendung „Seeing adoption through adoptees’ eyes. Why are some Korean adoptees rejecting international adoption practices?“ auf AlJazeera im Januar diesen Jahres. Wie viele der anderen Kommentare geht es dabei um das Abwägen von Gewinnen und Verlusten durch transnationale Adoption. Häufig scheint Gewissheit darüber zu bestehen, was auf beiden Seiten der Gleichung steht. Wohlstand, Sicherheit und Liebe werden dabei auf der einen Seite verortet, eine nicht vorhersehbare, prekäre Zukunft auf der anderen. Die wütenden Kommentierenden äußern ihr Unverständnis, wenn der offensichtliche Gewinn durch Adoption von den Adoptierten selbst nicht gewürdigt wird. Und es stimmt: Transnationale Adoption ist „eine der privilegiertesten Formen von Diaspora“ (David Eng, The Feeling of Kinship, 2010). In Deutschland bedeutet das, im Unterschied zu anderen Migrant_innen automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten.3)Übrigens unterscheidet sie das auch von in die USA Adoptierten, für die zusätzlich zur Adoption ein permanenter Aufenthaltsstatus beantragt werden muss. Da dies in einigen Fällen nicht passiert ist, ist immer wieder von erwachsenen Adoptierten zu hören, die nach Korea deportiert werden, wie in diesem aktuellen Fall von Adam Crapser. Zusätzlich war transnationale Adoption lange Zeit vor allem ein Mittelschichtsphänomen, Adoptierte sind daher häufig gut ausgebildet, sprechen in der Regel akzentfrei deutsch und sind kulturell assimiliert, so dass, bis auf das Aussehen – und den Affekt – zumeist nichts auf eine nicht-deutsche Herkunft hinweist. Unter diesen Voraussetzungen verkörpern sie Integrationsideale, sie sind Model Minority, wie Philipp Rösler oder in Frankreich die Kulturministerin Fleur Pellerin.

Erwachsene Adoptierte gewinnen in der Regel ökonomisches und Bildungskapital. Sie sind jedoch auch die schärfsten Kritiker_innen einer neoliberalen Ideologie des besseren Lebens, die darauf basiert, einige Kinder zu retten und zugleich (nicht nur) ihre Angehörigen zurückzulassen. Wenn eine der adoptierten Aktivistinnen in Maggie Jones’ Artikel mit der Aussage zitiert wird, „Our goal is to make ourselves extinct“, dann spricht daraus kein Todestrieb, sondern die kritische Analyse der Historizität und politischen Bedingtheit der eigenen Biografie. Aus einer solchen Perspektive ist nicht akzeptabel, dass transnationale Adoption die Prekarität von Frauen und Alleinerziehenden in den Herkunftsländern verstärkt, das heißt das globale Gefälle zwischen denen, deren reproduktive Rechte gefördert werden und denen, die dieser Förderung wie indirekt auch immer nutzen.

Transnationale Adoption muss daher in Zusammenhang mit anderen globalen Migrationsformen innerhalb postkolonialer, globaler Reproduktionsökonomien verstanden werden, etwa in Bezug zu globalisierter Care-Arbeit, als eine Variante, in der nicht die Mütter zum Arbeiten in reichere Länder migrieren, sondern ihre Kinder. Denn die abstrakt erscheinenden globalen reproduktiven Ökonomien manifestieren sich oft genug in den sozialen und psychischen Konflikten, dem traumatischen Erleben existenzieller Verluste der erwachsenen Adoptierten und ihrer Angehörigen in den Herkunftsländern und in den diskursiven und affektiven Widerständen, auf die der Versuch ihrer Artikulation immer wieder trifft.

Fußnoten

Fußnoten
1 Sie steht auch in einer längeren US-amerikanischen Fernsehtradition, so werden auch in den Serien Friends, King of Queens und Sex and the City chinesische Babies adoptiert.
2 Ich habe dazu mehr geschrieben in: „Adoptions aus Korea. Stille Migration?“ In: Young-Seun Chang-Gusko, Nataly Jung-Hwa Han, Arnd Kolb (Hg.): Unbekannte Vielfalt. Einblicke in die koreanische Migrationsgeschichte in Deutschland. Köln: Edition DOMiD 2014, S. 234-247.
3 Übrigens unterscheidet sie das auch von in die USA Adoptierten, für die zusätzlich zur Adoption ein permanenter Aufenthaltsstatus beantragt werden muss. Da dies in einigen Fällen nicht passiert ist, ist immer wieder von erwachsenen Adoptierten zu hören, die nach Korea deportiert werden, wie in diesem aktuellen Fall von Adam Crapser.